RW 39
»Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist« ?
Briefwechsel des Leiters des theoretischen Organs REVOLUTIONÄRER WEG Stefan Engel mit einem Leser zu Fragen der Religion im Buch »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur«
Die RW-Redaktion erhielt folgenden Brief am 12. November 2024:
Im neuen RW wird an einer Stelle Jesus 'zitiert': "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!" Mal abgesehen davon, dass der Vatikan alles unternimmt, dass das Original der Bibel archäologisch nicht aufgefunden werden kann, also sehr wahrscheinlich etwas zu verbergen hat, wurden von Luther als deutschem Übersetzer der Bibel nicht nur zahlreiche Übersetzungsfehler begangen, er hat auch noch seinen mittelalterlichen Wunderglauben einfließen lassen.
Wenn man jedoch "Blinde sehend machen" im Sinne von "Leuten die Augen öffnen" versteht, kam selbst Stefan Engel vor vielen Jahren zu dem Schluss, dass Jesus "der erste Befreiungskämpfer der Geschichte" war.
Wie will man sich aber "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!" ins Proletarische übersetzen? Mal abgesehen davon, dass auch die nicht schon immer reformistische Sozialdemokratie wie im Falle der Kriegskredite 'zur Stange' hielt oder Luther unter dem Eindruck der Bauernkriege sofort zurückruderte, Jesus also tatsächlich "schwach" geworden sein könnte, sollte sich der Satz auch im Sinne von Heimzahlen interpretieren lassen oder als Aufruf zum Boykott der Währung der römischen Besatzer durch Rückkehr zum Tauschhandel. Kämpfte er wie Ghandi gegen die kolonialistischen Steuerlasten? Vielleicht "kann man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen", aber so weit her sind die alten Ausbeuterzeiten nun auch wieder nicht, dass sich nicht Parallelen ziehen lassen könnten, um das in unser globalisiertes Heute überkommene Alte Rom zu verstehen. Und dass man Klassen- und Befreiungskämpfern das Wort im Munde herumdrehen kann, müssen wir doch auch heute erleben, wenn z. B. Nicht-Befürworter neuimperialistisch-zionistischer Politik als "linke Antisemiten" quasi ans Kreuz genagelt werden. Um wie viel leichter lässt sich das mit einem toten Jesus praktizieren, der sich nicht mehr wehren kann und dessen 'Zitate' seinerzeit von alphabetisierten ("ideologiefreien") Liebedienern der herrschenden Klasse niedergeschrieben worden sein dürften? Man kann Jesus unterstellen, dass auch er (in einem weitläufigen Sinne) für die "Kriegskredite" (des Alten Rom) gestimmt hat, man muss es aber nicht.
Vielleicht ist es sogar gewollt, dass man dieses vermeintlich unvermeidliche Fazit aus der Bibel ins Heute überleitet, um nachgeordneten gläubigen Generationen vorzumachen:"Eure Vorfahren haben sich in dieser Situation auch so verhalten. Ihr tut recht." Jahrhunderte brutaler Christianisierung haben Spuren hinterlassen.
Selbst wenn die Deutschen sich von der desolaten Religion abwenden, die Weichen sind immer noch gestellt, können also heute ebenso wirken wie vorm 1. und 2. Weltkrieg. Ob wir 'selbstlos' auf eigene Kosten oder auf Kosten von Angehörigen des jüdischen Volkes oder anderer Länder dem Imperialismus für seine verbrecherischen Ziele Raum geben oder (wie möglicherweise im NEUEN Testament) erstmals nicht, entscheiden WIR! Wenden wir im Fall von Jesus den Grundsatz "Im Zweifel FÜR den Angeklagten." an oder nicht? Welchem Gegenwind muss Liebknecht ausgesetzt gewesen sein, als er als einst einziges SPD-Mitglied gegen die Kriegskredite des deutschen Kaiserreiches stimmte?
Gleichwohl wurde Jesus wohl kaum ans Kreuz genagelt, weil er 'gottgefällig' war oder? Anders herum: Welcher "allmächtige Vater" von den vielen, die es angeblich gibt, würde wohl zulassen, dass sein Sohn von Weltlichen ans Kreuz genagelt wird? Das passt so gar nicht zur religiös-bürgerlichen Idealvorstellung von der "heiligen Familie". Aber wenn man aus Unkenntnis menschlicher Biologie die Vaterschaft nicht kennt oder diese aus dem gesellschaftlichen Kontext heraus vertuschen muss, kommt ja auch eine "unbefleckte Empfängnis" heraus, die dann ins "Buch der Bücher" eingeht. Ergriff Jesus deshalb Partei für eine "Hure", die gesteinigt werden sollte von eben jenen, die sie direkt oder indirekt zur "Hure" gemacht hatten? Hat er damit nicht als Erstes sogar subjektiv oder objektiv einen Grundstein gelegt für die Befreiung der Frau?
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Stefan Engel Leiter der Redaktion REVOLUTIONÄRER WEG
25.02.2025
Lieber Kollege,
vielen Dank für Deinen Brief vom 12. November 24 zum neuen Revolutionären Weg Nr. 39 »Die Krise der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften, der Religion und der Kultur« . Bitte entschuldige die späte Antwort.
Du schreibst: »Im neuen RW wird an einer Stelle Jesus ›zitiert‹: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist‹«. Und du wirfst die Frage auf, ob »sich der Satz auch im Sinne von Heimzahlen interpretieren lassen (sollte) oder als Aufruf zum Boykott der Währung der römischen Besatzer durch Rückkehr zum Tauschhandel.« Du meinst also, diese Aussage könne auch als Protest gegen die Obrigkeit gedeutet werden und fragst, ob man »im Fall von Jesus den Grundsatz ›Im Zweifel FÜR den Angeklagten‹« anwenden müsse.
Tatsächlich leisteten die frühen Christen Widerstand gegen das römische Imperium und wurden verfolgt. Bei der im RW zitierten Stelle handelt es sich allerdings nicht um ein »Zitat von Jesus«, sondern sie stammt aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 22, Vers 21. Dieses Evangelium ist nach Mehrheitsmeinung 80 Jahre nach unserer Zeitrechnung geschrieben worden und enthält Gleichnisse und Überlieferungen eines »Jesus von Nazareth«, die einer seiner »Jünger« gesammelt haben soll. Dort heißt der vollständige Text:
»Damals kamen die Pharisäer zusammen und beschlossen, Jesus mit einer Frage eine Falle zu stellen. Sie veranlassten ihre Jünger, zusammen mit den Anhängern des Herodes zu ihm zu gehen und zu sagen: Meister, wir wissen, dass du immer die Wahrheit sagst und wirklich den Weg Gottes lehrst, ohne auf jemand Rücksicht zu nehmen; denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also, ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht.
Jesus aber erkannte ihre böse Absicht und sagte: Ihr Heuchler, warum stellt ihr mit eine Falle?
Zeigt mir die Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Da hielten sie ihm einen Denar hin.
Er fragte sie: Wessen Bild und Aufschrift ist das?
Sie antworteten; Des Kaisers. Darauf sagte er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!«
Dieser letzte Satz – den du in deinem Brief auf den ersten Halbsatz beschränkt hast - stellt den Anspruch des Kaisers mit dem Anspruch von Gott auf eine Stufe. Das als »Heimzahlen« zu interpretieren, wäre sehr weit hergeholt. Zumal die auf S. 19 des RW 39 zitierte Stelle aus demselben Evangelium ebenfalls bedingungslose Unterwürfigkeit predigt.
Unabhängig davon, ob Jesus wirklich existiert hat, was er gesagt oder wie er es gemeint hat: Der feudale Absolutismus hat diese Aussagen genutzt, um Gott und die Obrigkeit gleichzusetzen, die Menschen zu disziplinieren und zu unterdrücken und seine jahrhundertelange Herrschaft zu zementieren. Das ist es, was der RW 39 mit diesen Zitaten korrekt zum Ausdruck bringt.
Herzliche Grüße
Stefan Engel